Wilde Maus (AT/DE 2017)

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Mit den Brenner-Filmen von Wolfgang Murnberger machte der Kabarettist Josef Hader Filmkarriere. In Maria Schraders Vor der Morgenröte brillierte er 2016 in der Rolle des Schriftstellers Stefan Zweig. Auf der diesjährigen Berlinale hat der Österreicher nun sein Regie-Debüt präsentiert.


Wir alle kennen ihn, diesen seltendämlichen Spruch, das Leben sei eine Achterbahn. Wer diese Floskel im Gespräch einfließen lässt, als Trost etwa oder als Aufmunterung, der darf sich nicht wundern, wenn er kurz darauf mit einem von Misanthropie beflügelten Redeschwall konfrontiert wird, ganz so, wie Josef Hader ihn seit knapp 35 Jahren schon allabendlich auf den Kabarett-Bühnen des deutschsprachigen Raums immer wieder zum besten gibt. Denn Hader ist der unangefochtene König der Misanthropie, der ohne Frage nach Fertigstellung der Häuser in der „Fickt-euch-Allee“ neben Großstadtgeflüster einziehen dürfte. Wenn Hader anfängt zu schimpfen, bleibt kaum einer verschont. Eine Liste derer, die es bislang geblieben sind, dürfte ebenso kurz wie exquisit sein. Es überrascht daher, dass Hader für sein Regiedebüt Wilde Maus gerade die oben gedruckte Floskel als Grundmotiv benutzt:

Als dem Musikkritiker Georg (Josef Hader höchstselbst) nach 25 Jahren Arbeit gekündigt wird, ist der Schock groß. Über den Vorschlag seines Chefs (großartig: Tatort-Komissar Jörg Hartmann), Georg könne seine freie Zeit nutzen, um ein Buch zu schreiben, kann er nur schwach lächeln. Für Georg steht sein Beruf über allem. Aus Scham gegenüber seiner Frau, der Psychotherapeutin Johanna (Pia Hierzegger), verbringt der arbeitslose Kritiker seine Zeit fortan auf dem Jahrmarkt, im Wiener Prater, um seine Kündigung vor ihr zu verbergen. Bei seiner allmorgendlichen Fahrt mit der Jahrmarktsbahn begegnet Georg seinem ehemaligen Mitschüler Erich (Georg Friedrich). Schnell freunden sich die beiden miteinander an. Als Erich die Chance erhält, für den kommenden Sommer die Wilde Maus, eine stillgelegte Achterbahn zu pachten, leiht Georg seinem neuen Freund das Startkapital. Gemeinsam setzen sie die Wilde Maus wieder in Schuss. Nebenbei brechen die beiden bei Georgs ehemaligem Chef ein und demolieren dessen Villa. Dieser findet das gar nicht lustig und holt zum Racheschlag aus. So beginnt eine wilde Fahrt, die zwangsläufig in einer Katastrophe enden muss…

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„Schwarzer Humor im deutschsprachigen Raum ist ohne Wien nicht denkbar“, das wusste schon Georg Kreisler, der seinerzeit als Chansonier mit Everblacks wie „Taubenvergiften“ oder „Wien ohne Wiener“ die Basis für eben jene Form des dunkelhumorigen Kabaretts freilegte, deren populärster Vertreter heute wohl ohne Frage Josef Hader ist. Es scheint daher nur selbstverständlich, dass Hader für sein Regiedebüt Wien als Schauplatz gewählt hat. Somit dient die Stadt, die als die Brutstätte des schwarzen Humors gilt, als Bühne, auf der Haders Protagonisten agieren, ausrasten, ihre Intrigen spinnen, fallen und sich wieder fangen.

Mit Wilde Maus legt Hader einen Film vor, der eigentlich für seine sonst üblichen Verhältnisse zu versöhnlich ist. Und genau das ist es, was sein Regiedebüt auszeichnet! Mit sensationeller Leichtigkeit springt der Film vom Komischen ins Tragische. Dunkelster Humor mischt sich mit tiefstem Schmerz. Dabei überrascht Hader mit einem Erzählstil – pointiert, detailliert und entschlossen – den man ihm, so schmerzlich es ist, eigentlich gar nicht zugetraut hätte. Zuweilen erinnert dieser an die Filme des verstorbenen Regisseurs Helmut Dietl, dem Hader im Abspann neben seinem Freund und Wegweiser Wolfgang Murnberger ausdrücklich dankt. Trotz seiner kurzen Lauflänge (103 Minuten) lässt sich der Film viel Zeit, bis seine Handlung an Fahrt aufnimmt und auch Fans von Komm, süßer Tod (2000) oder Aufschneider (2010) auf ihre Kosten kommen. Zeit, die Wilde Maus unbedingt benötigt, um eben keine platte Komödie, sondern ein Stück feinster Erzählkunst zu sein.

Ein wahrer Coup ist Haders Cast, allen voran Dortmunds Tatort-Kommissar und Theater-Star Jörg Hartmann als schnöseliger Chef sowie der dieses Jahr für Helle Nächte mit dem Silbernen Bären als Bester Darsteller ausgezeichnete Georg Friedrich als Erich. Auch Hierzegger überzeugt in ihrer Rolle als Johanna. Dies fällt besonders in den Partnerszenen mit Hader auf, welcher auch unter Eigenregie eine herausragende darstellerische Leistung abgibt. Irritierend wirkt hingegen Nora von Waldstätten, die hier als Georgs Nachfolgerin nach ihrem Kurzauftritt in Personal Shopper von Olivier Assayas den nächsten Fünf-Minuten-Part abliefert.

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Auch den Soundtrack gilt es zu loben, der in seiner Mischung aus Klassik (Vivaldi, Beethoven, Mozart, Händel etc.) und zeitgenössischer Popmusik (vor allem Bilderbuch) die perfekte musikalische Untermalung der Bilder liefert. In einem Gastauftritt gibt sich zudem der Rapper Maeckes die Ehre.

Josef Haders Regiedebüt Wilde Maus überzeugt auf ganzer Linie mit pointiertem Humor und einem großartigen Cast. Dass viele Kinosäle derzeit dennoch leer bleiben ist beklagenswert. Es ist Zeit, dass sich da was ändert!

Wilde Maus läuft seit dem 09.03. in den deutschen Kinos. Ein Besuch lohnt sich, versprochen!

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95%

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