Last Men in Aleppo (DE/DK/SY 2017)

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Ab dem 16. März läuft Feras Fayyads und Steen Johannessens Dokumentation Last Men in Aleppo in den deutschen Kinos. Der Film ist schwere Kost und nichts für schwache Nerven. Und dennoch sollte er dieser Tage Pflichtprogramm sein.


Seit 2011 liefern sich in Syrien das Assad-Regime und die Rebellen erbitterte Kämpfe. Es ist ein blutiger Krieg, der vor allem zivile Opfer fordert. Trotz aller diplomatischer Bemühungen ist auch heute, 2017, kein Ende des Blutvergießens in Sicht. Waffenruhen halten nicht mehr als wenige Tage. Regelmäßige Bombenhagel verwandeln die Stadt Aleppo in eine Trümmerwüste, in eine einzige Ruine.

Aus eben diesen Trümmern bergen Mitglieder der 2013 gegründeten Freiwilligenorganisation Syria Civil Defense (besser bekannt unter dem Namen „White Helmets“ oder „Weißhelme“) alltäglich Überlebende. 2016 war die Organisation für den Friedensnobelpreis im Gespräch, gewonnen haben sie im selben Jahr den Alternativen Nobelpreis.

Für ihren Film Last Men in Aleppo haben Feras Fayyad und Steen Johannessen einige Mitglieder der Organisation mit der Kamera begleitet. Diese folgt dabei besonders den beiden Gruppenmitgliedern Khaled und Mahmoud, sowohl während ihrer lebensgefährlichen Einsätze als auch in der Zeit, die man wohl bitterlich als ihre „Freizeit“, als ihren „Alltag“ bezeichnen muss. Khaled ist ein liebender Familienvater, ein Mann, der alles versucht, um seiner kleinen Tochter Medikamente zu besorgen. Einer der fort will mit seiner Familie, der aber in Aleppo bleibt, um zu helfen. Mahmoud ist sein Freund, ein junger Mann, dem seine Familie -besonders sein Bruder- alles bedeutet. Am Ende des Films wird Khaled tot sein, ums Leben gekommen bei einem Einsatz. Und für den Rest der Gruppe geht der Kampf weiter.

Schon der Beginn des Films verlangt dem Zuschauer einiges an Kraft ab: Die Mitglieder der Weißhelme versuchen aus den Trümmern Überlebende freizuschaufeln. Aus dem Schutt ziehen sie einen kleinen Jungen hervor, blutüberströmt, eine klaffende Wunde am Kopf. Er lebt. Die Männer schaufeln weiter und bergen kurz darauf ein Baby, schlaff, staubbedeckt und bewegungslos – eine Leiche. Kurz darauf erfährt der Zuschauer während eines Gesprächs der Weißhelme, dass inzwischen auch der geborgene Junge seinen Verletzungen erlegen ist.

Was für den Zuschauer nur schwer zu ertragen ist, ist für die Mitglieder der Weißhelme Alltag. Immer wieder rücken sie aus, zu zerbombten Häusern und brennenden Autos. Mal gelingt es Ihnen, einige Verschüttete zu retten. Doch zumeist bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als Leichen zwischen dem Geröll hervorzuziehen oder abgetrennte Körperteile von der Straße aufzulesen. Wenn, etwa in der Mitte des Films, die Mitglieder versuchen, anhand eines abgetrennten Fußes einen ihrer Kollegen als das Opfer zu identifizieren, dann ist das nur einer von vielen Momenten, in denen man als Zuschauer mehr als versucht ist, einfach die Augen zu schließen. Doch es ist die Aufgabe des Zuschauers, gegen eben diesen Reflex anzukämpfen.

Zwischen all dem Leid dokumentiert der Film auch immer wieder Momente des Trostes, Momente der Hoffnung. Die kleinen Dinge sind es, die hier zwischendurch fast so etwas wie Ruhe einkehren lassen. Etwa ein kurzes Fußballspiel der Weißhelme. Oder ein Ausflug zum Spielplatz mit den Kindern. Doch wann immer hier Augenblicke der Hoffnung eintreten ist gewiss, dass diese nicht von Dauer sein werden.

Der Film zeigt, wie die Weißhelme selbstlos dem sinnlosen Blutvergießen entgegentreten. Die Bilder bleiben dabei unberührt, ungefiltert, unkommentiert, kurz: authentisch. Und diese Authentizität ist es, die Last Men in Aleppo oft fast unerträglich macht, diese blanke Sachlichkeit. Einzig die Musik geht auf das Geschehen ein. Bildtafeln liefern zu Anfang und Ende Zahlen, Fakten.

Schon 2016 hatte die Netflix-Dokumentation The White Helmets den Mitgliedern der Organisation ein Denkmal gesetzt, eines, das erst vor einigen Wochen mit dem Oscar für die beste Kurzdokumentation ausgezeichnet worden ist. Mit Fayyads und Johannessens Film erreicht das Thema nun auch die Kinoleinwände. Jeder sollte diesen Film sehen! Jeder sollte sich dem stellen, wovon dieser Film Bericht erstattet. Denn Last Men in Aleppo ist nicht nur ein schonungsloses, bitteres Dokument von den Leiden der syrischen Zivilbevölkerung, sondern auch ein Zeugnis dafür, was durch Zivilcourage erreicht werden kann. Khaled, Mahmoud und die anderen Gruppenmitglieder stehen hier stellvertretend für alle Weißhelme, die aus Eigeninitiative täglich ihr Leben aufs Spiel setzen, um zu helfen.

Die Mitglieder der Weißhelme sind Helden. Diesen Film zu sehen ist man ihnen schuldig.

 

Eine prozentuale Bewertung des Films entfällt.

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