In Zeiten des abnehmenden Lichts (DE 2017)

© Hannes Hubach/X Verleih
© Hannes Hubach/X Verleih

Als 2011 Eugen Ruges monumentaler DDR-Familienroman In Zeiten des abnehmenden Lichts erschien, wurde er innerhalb kürzester Zeit zum Bestseller. Jetzt hat der Regisseur Matti Geschonneck den Roman für die Leinwand verfilmt – nach einem Drehbuch von Wolfgang Kohlhaase. Fans der Vorlage dürften enttäuscht sein.


Ich will offen sein:

Entgegen dem seit einigen Jahren vorherrschenden Trend, alles Entstehende zugrunde gehen zu lassen – ich glaube an den deutschen Film. Das mag zum Kopfschütteln veranlassen, viele schockieren, einige gar abstoßen. Aber die Beweislage spricht für mich: In den vergangenen Jahren haben deutsche Filme wie zuletzt Maren Ades Toni Erdmann (2016), Sebastian Schippers Victoria (2015) oder Matthias Glasners Gnade (2012) bewiesen, dass der deutsche Film mehr ist als lediglich das Universum des fröhlichen Dreigestirns um Til Schweiger, Matthias Schweighöfer und Elyas M’Barek. Und wenn wir schon einmal dabei sind: Auch in deren Universum gibt es Sterne, die leuchten. Wer zwanghaft versucht, die Filme Til Schweigers konsequent zu verdrängen, weil da mal diese unglückliche Sache mit dem Hamburg-Tatort war, der läuft gleichzeitig Gefahr, ein Werk wie etwa Barfuss (2005) zu verkennen. Und selbst der eingefleischteste Feind der drei oben genannten Herren sollte nicht so blind, nicht so vermessen sein, anzunehmen, eine Nationalkinematographie könne anhand ihrer drei kommerziell erfolgreichsten Bestandteile beurteilt werden.

Ich will gar nicht erst damit anfangen, hier mit Graf, Petzold oder Hochhäusler, der Berliner Schule, Im Angesicht des Verbrechens (2010) oder Dreileben (2011) zu argumentieren, das Feuilleton ist mir da lange zuvorgekommen. Und auch das Aufführen weiterer Namen birgt die Gefahr, von der eigentlichen Aussage dieses Textes abzulenken, könnte mich gar selbst dazu verführen, das Folgende unterdrücken zu wollen. Daher Schluss mit den hellen Tagen, löscht das Licht!

Als 2011 Eugen Ruges monumentaler DDR-Familienroman In Zeiten des abnehmenden Lichts erschien, wurde er innerhalb kürzester Zeit zum Bestseller. Leser und Feuilleton waren gleichermaßen begeistert. „Der grosse DDR-Buddenbrooks-Roman“, schrieb damals etwa die Literaturkritikerin Iris Radisch in der ZEIT, ein Statement, wie gemacht, um auf dem Buchdeckel abgedruckt zu werden.

Ruges Roman war und ist eine Sensation, denn nach vielen, viel zu vielen kläglichen Versuchen der Neudefinition des Generationen- bzw. Familienromans hatte es endlich mal wieder einer geschafft, etwas ganz und gar Großartiges zu schaffen. Über eine Zeitspanne von knapp 50 Jahren erzählt Ruge in seinem Roman die Geschichte einer Familie. Da sind die Großeltern, Wilhelm und Charlotte, die aus dem mexikanischen Exil in die DDR zurückkehren. Da ist Charlottes Sohn Kurt, der einmal ein gefeierter Historiker werden soll und während der Gefangenschaft im Ural seine Frau, die Russin Irina, kennenlernt. Und da ist – nicht zuletzt – deren Sohn Sascha, der sterbenskrank aus dem Jahr 2001 auf seine Familie zurückblickt, sich auf deren Spuren begibt. Ruge verwebt ein Panorama aus Einzelschicksalen zur Summe einer monumentalen Familiensaga, die rund ist, schlüssig, und die davon lebt, dass der Leser jeden, wirklich jeden Protagonisten gleichzeitig liebt, hasst und vor allem versteht.

Schon allein die Technik der Montage, mit der im Roman gearbeitet wurde, ließ viele Leser damals eine baldige Verfilmung erahnen. Nun, sechs Jahre nach Erscheinen des Romans, gibt es ihn, den Film In Zeiten des abnehmenden Lichts.

Für die Verfilmung von Ruges Roman hat Produzent Oliver Berben den Regisseur Matti Geschonneck gewählt, bekannt aus Funk und Fernsehen wie etwa Das Zeugenhaus (2014). Das Drehbuch hat Wolfgang Kohlhaase geschrieben, eine Legende des deutschen Films. Auch die Besetzung stimmt zuversichtlich: Bruno Ganz, Sylvester Groth, Alexander Fehling, Hildegard Schmahl, Angela Winkler, Gabriela Maria Schmeide…und und und. Eine Auswahl der Créme de la créme der deutschen Film- und Theaterszene.

Eine phänomenale Vorlage, ein vielversprechender Cast, eine ausgezeichnete Besetzung und ein Drehbuch von Kohlhaase. Jede Menge Potential.

Wo der Haken ist? Ganz einfach: Der Film ist schlecht. Film ab:

Ost-Berlin 1989: Ein Vater besucht seinen Sohn. Kurt will Sascha an den nahenden Geburtstag von Großvater Wilhelm erinnern, gleichzeitig erfahren, wieso Sascha die Beziehung zu seiner Freundin und Mutter seines Kindes abgebrochen hat. Sascha erweist sich jedoch nicht als gesprächig. Die beiden gehen auseinander. Zwei Tage später, am Tag von Großvater Wilhelm Powileits 90. Geburtstag erreicht Kurt und dessen Frau Irina die überraschende Nachricht, dass Sascha in den Westen geflohen ist.

Fortan wird der Zuschauer Zeuge, wie während der Feierlichkeiten eine ohnehin zerrüttete Familie vor die Hunde geht. Eine Geschichte von gescheiterten Träumen und zerstörten Illusionen vor dem Hintergrund eines einstürzenden Regimes.

Für die Verfilmung des Romans hat der Drehbuchautor Kohlhaase die Vorlage radikal gekürzt. Anstatt Ruges Generationengeschichte in ihrer vollen Bandbreite zu adaptieren, fokussiert sich sein Drehbuch auf die Geschehnisse um Wilhelms Geburtstag. Daran ist erst einmal nichts Verwerfliches zu sehen, immerhin hat Kohlhaase damit einige sehr zentrale Stellen des Buches für sein Drehbuch berücksichtigt. Es wäre allerdings Kohlhaases Aufgabe gewesen, die Essenz des nicht berücksichtigten Rests der Romanhandlung mit seinem Drehbuch zu kombinieren.

Leider kommt Kohlhaase dieser Aufgabe nur zu Teilen nach und das in einer Art, wie sie seinem Ruf unwürdig ist. Kohlhaase ist schlichtweg zu mutig gewesen, die Verfilmung scheitert leider an seiner Reduktion. Die von Ruge liebevoll und authentisch entworfenen Charaktere werden zu albernen Zerrbildern ihrer selbst, allen voran Bruno Ganz als Wilhelm, der in seiner stereotypen Verkörperung des alten, verwirrten Mannes enttäuscht. Sohn Sascha, im Roman noch Hauptfigur, geht nach gerade einmal fünf Minuten, um erst zum Schluss für einige Sekunden wieder aufzutauchen. Dass mit Alexander Fehling somit schon zu Beginn ein vielversprechendes Talent verschwindet, schmerzt und ist Verschwendung.

Schmerzlich sind auch die von Kohlhaase neu hinzugedichteten Figuren, deren einzige Funktion es ist, nicht verfilmte Szenen des Romans in Dialogen mit den anderen Akteuren verbal zu entfalten. Besonders Angela Winklers Figur merkt man an, wie artifiziell sie ist, wie unselbstständig, unglaubwürdig und uninteressant.

Noch schlimmer sind eigentlich nur jene Figuren, denen im Film neue Nebenhandlungen zugesprochen werden. Im Gedächtnis bleibt besonders ein Polizist, dessen Blase zwar kurz vor dem Platzen ist, er aber nicht auf die Toilette kann, da ein Vertreter des Regimes ihn gerade in ein Gespräch verwickelt (ja, ja, das Regime unterdrückt halt). Immer wieder wird dieser absolut sinnlose Handlungsstrang aufgegriffen, bis man sich schließlich wünscht, dass der Kollege sich doch bitte endlich ein Herz fassen möge und sich vor versammelter Mannschaft einnässt. Nichts dergleichen passiert. Die Auflösung: Irgendwann darf er aufs Klo. Toll, wenigstens ist es vorbei.

Auch hinsichtlich der Schauspieler ist hier viel Potential verschenkt worden. Die alt-ehrwürdige Hildegard Schmahl spielt eine Zicke sondergleichen, deren Motivationen in keinem Moment auch nur ansatzweise glaubwürdig gemacht werden. Auch Sylvester Groth, sonst eine sichere Bank für Charakterrollen, enttäuscht mit sichtbarer Leidenschaftslosigkeit. Lichtflecken sind die großartige Gabriela Maria Schmeide, die als Haushälterin mit freier Schnauze und Empathie deutlich authentischer als der Rest des Ensembles wirkt, sowie Evgenia Dodina als Irina, in deren Szenen Zuschauern das Lachen im Hals steckenbleibt.

Trotz dieser beiden Lichtblicke ist der Umgang mit Ruges Romanfiguren unverzeihbar. Dem Zuschauer muss es (ohne weitere Kenntnis der Vorlage) ausgesprochen schwer fallen, die Figuren und ihre Motivationen und Konflikte zu verstehen. Leider macht das die Charaktere nicht nur lächerlich, sondern vor allem unglaubwürdig.

Als 1955 der Regisseur Elia Kazan seine Verfilmung des John-Steinbeck-Romans East of Eden in die Kinos brachte, sorgte das bei vielen Kennern der Romanvorlage für eine Überraschung. Denn Kazan und sein Drehbuchautor Paul Osborn hatten den Film ganz auf den Vater-Sohn-Konflikt ausgelegt. Somit deckte die Verfilmung lediglich den letzten Teil des umfangreichen Romans ab. Das Projekt, dass sicherlich nicht ganz ohne Risiko realisiert worden war, zahlte sich aus: zahlreiche Preise und ein Lob Steinbecks bewiesen, dass hier weniger mehr gewesen war.

In Zeiten des abnehmenden Lichts will keine haargenaue Adaption des Romans sein. Das ist prinzipiell auch gar kein Problem, nur leider merkt man ihm diese Bemühung in jeder Sekunde seiner 100 Minuten deutlich an: Steife Charaktere, artifizielle Figuren und sinnlose Nebenhandlungen degradieren eine großartige Vorlage zu einem Film, der als Fernsehfilm wohl eher funktioniert, als auf der großen Leinwand. Es ist sehr bedauerlich, dass sich das Team um Berben, Geschonneck und Kohlhaase offensichtlich nicht getraut haben, einen mit Überlänge zu machen. Verschenktes Potential.

Ich habe mich anfangs dazu bekannt, an den deutschen Film zu glauben. Wo Glaube ist, da ist auch Zweifel. Und wenn der eigene Glaube in seinen Grundfesten erschüttert wird, dann macht das wütend. Es sind Produktionen wie diese (Renommierte Produzenten, vielversprechende Vorlage, guter Stab), die mich zornig machen und die meinen Glauben an den deutschen Film wiederholt infrage stellen. Es sind Produktionen wie diese, die in all ihrer Mutlosigkeit, in all ihrem Festhalten an Konventionen, in all ihrem Mangel an Experimentierfreudigkeit letztendlich dem deutschen Kino schaden.

Für mich gilt es dennoch, weiterhin an den deutschen Film zu glauben und Filme, wie In Zeiten des abnehmenden Lichts hinter mich zu lassen, egal wie enttäuschend, egal wie schlecht er ist. Und ich will jeden, der dies liest dazu ermutigen, es mir gleich zu tun!

(Geschonnecks Film startet am 1. Juni 2017 in den deutschen Kinos.)

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25%

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